Teil 1 von Vera Splinter
Haben Sie heute schon genug getrunken?
Sind es feste Trinkgewohnheiten, die Sie zum Wasserglas greifen lassen oder erinnert Sie eine App auf dem Smartphone daran, dass es Zeit ist zu trinken? Viel Trinken ist wichtig, so der allgemeine Tenor und die Frage der optimalen Trinkmenge ist scheinbar leicht zu beantworten. Wem die Empfehlungen dazu auf diversen Internetseiten nicht ausreichen, kann sich Hilfestellung bei einem „Wasserbedarfs Rechner“ holen.
Aber so eindeutig ist es nun doch nicht, denn die Spanne bewegt sich für den gesunden Erwachsenen zwischen 1,5 – 3 l und mehr. Inwieweit Kaffee und andere flüssige Genussmittel dabei angerechnet werden können wird kontrovers gehandhabt. Und auch die Frage, ob eine Suppe oder ein Gurken Smoothie in die Tagesmenge einfließt oder nicht, wird unterschiedlich beantwortet.
Nicht selten werden diverse gesundheitliche Vorteile wie Gewichtsreduktion, kognitive Leistungsfähigkeit oder schöne Haut durch eine relativ hohe Flüssigkeitsaufnahme in Aussicht gestellt. Dieser durch die Medien unterstützte „Druck“ zeigt Wirkung, denn Menschen mit jederzeit griffbereiter Wasserflasche oder stylischer Thermotasse gehören mittlerweile zum Bild in der Öffentlichkeit.
Inwieweit helfen uns wissenschaftliche Empfehlungen unseren persönlichen Flüssigkeitsbedarf zu bestimmen? 30 – 40 ml Flüssigkeit pro kg Körpergewicht, so die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (1), sollten demnach von einem gesunden Erwachsenen täglich aufgenommen werden. 2,2 - 2,8 l Flüssigkeit ergibt sich daraus rechnerisch für eine Person mit 70 kg Körpergewicht, besondere Lebenssituationen sind dabei unberücksichtigt. Geht man davon aus, dass ca. 300 ml täglich durch Stoffwechselvorgänge bereitgestellt werden, reduziert sich die empfohlene Flüssigkeitsaufnahme entsprechend, wobei auch dieser Wert der weiteren wissenschaftlichen Abklärung bedarf. Konsens herrscht weitestgehend hinsichtlich der empfohlenen Getränke. Wasser, ungesüßte Frucht- und Kräutertees stehen auf der Liste ganz oben.
Yamada et al. haben auf der Basis einer internationalen Studie mittels Isotopen-Tracking (²H) Methode bemerkenswerte Ergebnisse formuliert, die unsere bisherigen Empfehlungen zur Flüssigkeitszufuhr als oberflächlich erscheinen lassen. Die gesamte Wasserzufuhr und -abgabe (Wasserumsatz WT) variierte in Abhängigkeit von vielen Faktoren, darunter Körpergröße, körperliche Aktivität, Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Höhe. Zusätzlich zeigte sich, dass Menschen, die in Ländern mit einem niedrigen Index der menschlichen Entwicklung (HDI) lebten einen höheren Wasserumsatz hatten als Menschen in Ländern mit hohem HDI. (2)
Trotz der Vielzahl an Ratschlägen zur Flüssigkeitszufuhr sind evidenzbasierte Empfehlungen derzeit schwierig abzugeben und weitere Forschungsarbeit notwendig.
Literatur
(1) Wasser | DGE (2) Variation in human water turnover associated with environmental and lifestyle factors | Science
Teil 2 von Vera Splinter
Trinken Sie, weil Sie Durst haben?
Hat man im alten China auf das Bauchgefühl des Gesunden vertraut und deshalb konkrete Mengenangaben zur täglichen Flüssigkeitszufuhr nicht umfangreich thematisiert? Qualitative Überlegungen standen anstelle der heutigen quantitativen Empfehlungen im Vordergrund und somit finden sich in alten Quellen vielfältige Informationen zur energetischen Wirkung von Getränken bzw. den Zutaten.
Die individuelle Betrachtung des Menschen in der TCM ist auch bei der Flüssigkeitszufuhr hilfreich. Die persönlichen Trinkgewohnheiten sagen viel über die jeweilige energetische Situation aus. Fragestellungen wie „Trinken Sie, weil Sie Durst haben?“, „Welche Getränke bevorzugen Sie?“ oder „Trinken Sie gerne Kaltes/Warmes?“ liefern aufschlussreiche Informationen. Das Bild vervollständigt sich, wenn wir Lebensstil (Arbeit, Sport, …), Klima oder die Neigung zum Schwitzen bzw. Farbe/Geruch des Urins etc. einbeziehen.
Aus Sicht der Chinesischen Medizin bergen pauschalisiert und eine wissenschaftliche Absicherung suggerierende Aussagen zum Trinken, diverse „Fallen“ in sich. Hierzu einige wenige Beispiele:
· Mangelndes Durstgefühl kann mit einer Ansammlung von Nässe/Schleim in Zusammenhang stehen. Werden durch ein „Trink Training“ große Mengen an (kaltem) Wasser oder kühlenden Tees aufgenommen, dann kann dies zu einer Verschlechterung der bestehenden Situation führen.
· Die Empfehlung, zur Gewichtsreduktion vor jeder Mahlzeit ein großes Glas Wasser zur Füllung des Magens zu trinken, ist aus Sicht der TCM kontraproduktiv. Unter Umständen führt dies langfristig zu einer weiteren Steigerung des Gewichts und zu einer Schwächung der Mitte.
· Bei einer bestehenden (Milz)-Qi-Schwäche oder einer Yang-Leere kann der Konsum von 2-3 l energetisch kühlendem Wasser oder physikalisch kaltem Wasser den Status Quo weiter verschlechtern.
· Ungesüßte/gesüßte Früchtetees sind häufig sehr sauer. Da der saure Geschmack mengenabhängig Einfluss auf den Qi- und Blutfluss hat und viele der verwendeten Zutaten energetisch kühlen, ist die allgemeine Empfehlung (siehe Teil 1) kritisch zu betrachten.
· Ungesüßte Kräutertees stehen in westlichen Empfehlungen ebenfalls hoch im Kurs. Dabei wird nicht beachtet, dass auch sie energetisch relevante Wirkungen haben, die in Abhängigkeit von der Menge zum Tragen kommen. So ist ein regelmäßig getrunkener Ingwertee bei einer Hitzeproblematik kontraproduktiv, während er bei Kälte der Mitte hilfreich sein kann.
Weitgehend unberücksichtigt bleibt in der gesamten naturwissenschaftlichen Betrachtung, dass Nahrung (fest und flüssig) im Zusammenspiel mit einer intakten Mitte die elementare Basis für die Bildung von Yin ist. Suppen, saftige Gemüsegerichte, Kompotte etc. gelten als hilfreiche Zubereitungen, um Yin, Blut und Körperflüssigkeiten bilden zu können und tragen neben Getränken zur Hydratisierung des Körpers entscheidend bei.
Suchen Sie einen einfachen Zugang zum Thema Flüssigkeitszufuhr, der Ihre individuellen Bedürfnisse berücksichtigt? Die Ernährung der Chinesischen Medizin bietet hierzu unkomplizierte Konzepte an.
Auszug aus dem TCM-Magazin Complemedis 04.07.202
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Was haben eine Wärmeflasche, Endometriose und die TCM-Ernährung gemeinsam?
In Österreich leiden 10 – 15% der Frauen regelmäßig unter den Symptomen und Folgen einer Endometriose. Bis zur Diagnose vergehen im Mittel 6 Jahre – ein langer Leidensweg, der nicht selten auch nach der Diagnose anhält. Menstruationsschmerzen gelten immer noch als „normal“, eine Sichtweise, die allzu oft von Mutter zu Tochter weitergegeben wird.
Zu Beginn einer erfolgreichen TCM-Ernährungstherapie beim Schmerzhaften-Menstruation-Syndrom steht die differentialdiagnostische Betrachtung. Pauschale Ernährungsempfehlungen sind nicht zielführend, da sich Ursachen und Beschwerdebild bei jeder betroffenen Frau individuell darstellen. Ausgewählte Fragen an die Patientin helfen uns dabei den meist komplexen Knoten zu entwirren - und hier kommt die Wärmeflasche ins Spiel. „Hilft Ihnen eine Wärmeflasche, wenn Sie Schmerzen bei der Menstruation haben?“ Die meisten Patientinnen haben ausprobiert, ob äußere Wärme die Schmerzen mildert oder unangenehm ist. Die Rückmeldung ist eine wichtige Information auf dem Weg zur Diagnose. Ist die Wärmeflasche angenehm, dann haben wir einen ersten Hinweis auf unzureichend vorhandene Wärme, eine mögliche Ursache für Blutstase. Dagegen wird eine Patientin mit Innerer Hitze die Wärmeflasche auf dem Unterbauch als unangenehm empfinden.
Mit Hilfe solch gezielter Fragen verschaffen wir uns Klarheit darüber welche Störungen im Vordergrund stehen und an der schmerzverursachenden unzureichenden Dynamik von Blut und Qi beteiligt sind: Liegt eine Mangel an Qi, Blut, Yin und/oder Yang vor, sind Ansammlungen von Nässe und/oder Schleim das zentrale Thema oder steht Kälte bzw. Hitze im Fokus. Auf der Basis dieser Erkenntnisse werden individuelle Ernährungsempfehlungen gemeinsam mit der Patientin erarbeitet. Zur zielgerichteten Umsetzung stehen ausgewählte Lebensmittel, bewährte Rezepte und einfache Zubereitungen zur Verfügung.
mehr dazu im Vortrag
Unterschätztes Potenzial: TCM-Ernährungstherapie bei Endometriose und schmerzhafter Menstruation
27. September 2024
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Die Ökotrophologin Vera Splinter kam zur Chinesischen Ernährungslehre, weil sie damit eine Besserung ihrer damaligen gesundheitlichen Beschwerden fand. Im Podcast gibt sie Tipps zur individuellen Ernährung nach der TCM, äußert sich zu aktuellen Ernährungstrends wie Veganismus und plädiert für den eigenen Nutzgarten.
Ernährung ist ein Thema, das viele Menschen beschäftigt, die gesund leben wollen oder unter Verdauungsbeschwerden leiden. Fragen der gesunden Ernährung können höchst emotional sein und bewegen sich zwischen den Polen von Verunsicherung und starken Überzeugungen. Ernährungsregeln ändern sich kontinuierlich durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse; aber auch die Lebensumstände spielen bei der Vorstellung einer gesunden Ernährung eine große Rolle. In Zeiten, in denen in Europa nicht nur genügend Nahrung vorhandeln ist, sondern jeder und jede auch wählen kann, wie sie sich ernähren will, ist das Essvergnügen für viele dennoch nicht unbeschwert. Es ist begleitet von Ängsten vor Unverträglichkeiten und von schlechtem Gewissen, wenn man gegen Ernährungsregeln verstößt. Wie kann man in dieser Gemengelage ein gesundes Verhältnis zu Essen gewinnen? Genussvoll und gleichzeitig gesund essen? Auf alle diese Fragen gibt Vera Splinter im Podcast Antworten.
Covid-19 und die Herausforderungen für die TCM-Ernährungsberatung
von Vera Splinter
Themenspecial "Post Covid"
AGTCM Fachverband für Chinesische Medizin